Thema: Motor einfahren

Erik - 27.9.2003 um 20:59

Was haltet ihr davon?


Was Rennsport-Experten längst aus Erfahrung wussten, ist jetzt wissenschaftlich belegt: Wenn ein neuer Motor gleich voll „geschruppt" wird, läuft er später umso besser. Das trifft jedoch nicht nur auf Rennmotoren, sondern im besonderen Maße auch auf Lkw-Motoren zu. Zu dieser Erkenntnis kommt eine Studie zur „Erforschung von Tribomutationen für die Produktion von reibungs- und verschleißarmen Motoren" die das renommierte Institut IAVF Antriebstechnik AG in Zusammenarbeit mit dem Motorenbauer Deutz AG und dem Ölhersteller Fuchs Petrolube AG durchführte.
Dr. Matthias Scherge ist Experte für Tribologie, das ist die Wissenschaft von den Zusammenhängen zwischen Reibung, Verschleiß und Schmierung gegeneinander bewegter Körper. Als wissenschaftlicher Leiter der IAVF Antriebstechnik AG trägt Scherge die Verantwortung für die Grundlagenforschung. Sein kurzes Resümee aus der Studie: Man kann einem Neumotor beim Einfahren auf den ersten paar tausend Kilometern nichts Schlimmeres antun, als ihn verhalten, mit niedrigen Drehzahlen und wenig Last zu fahren. Laut der IAVF-Studie sollten Neumotoren vielmehr voll ausgefahren werden - selbstverständlich jeweils erst nach Erreichen der Betriebstemperatur. Der Clou: Die Untersuchung widerlegt gleichzeitig die These, dass er- höhter Verschleiß am Anfang zwar zu höheren Laufspielen und damit weniger Reibung führt, die Lebensdauer aber letztlich doch herabgesetzt wird.

Die Erkenntnis heute: Erhöhter Verschleiß ist am Anfang zwar durchaus vorhanden, er führt aber nicht zu verkürzter Lebensdauer, sondern bewirkt das Gegenteil. Der stärkere Anfangsverschleiß „veredelt" sozusagen die oberen Schichten der Reibpartner (Kolbenringe/Zylinderwand, Pleuelauge/Kurbelwelle, Pleuelauge/Kolbenbolzen, Kurbelwellen-hauptlager/Lagerschale im Gehäuse, Nockenwelle/Schlepphebel), was letztendlich zu einer höheren Lebensdauer, weniger Reibung und damit zu geringerem Verbrauch beziehungsweise höherer Leistungsausbeute führt.
Warum das so ist, lässt sich schlüssig erklären: Die Oberfläche eines präzise gefertigten Reibpartners nach der Einlaufphase unter der lOOOfachen Vergrößerung eines Rasterkraftmikroskops erinnert an das Bild eines glatten Sandstrands, auf den Regentropfen prasseln. Ungleichmäßig verstreut liegen Einschlagdellen und Anhäufungen vor. Reiben nun zwei solche Oberflächen aneinander, so berühren sich die „Berge". Die durch die Reibung von Bewegung in Wärme umgewandelte Energie führt zu einer Verflüssigung des metallenen Materials im Bereich der Bergkuppen, die gesamten Berge werden teigartig. Das Material quetscht sich nach den Seiten weg, aus Bergen werden Dellen. Die Oberflächen verändern sich also ständig. In dieser Phase, die nur wenige millionste! Sekunden anhält, findet nun eine Materialveränderung, die so genannte Tribomutation statt.
Bei genügend Reibung wandern in die äußerste Oberflächenzone beider Reibpartner, beispielsweise Kolbenring und Zylinderwand, Atome und Moleküle wie etwa Kohlenstoff, die aus dem Schmiermittel und dessen Additiven stammen. Es entsteht eine feinkristalline oder formlose, extrem harte Struktur, die bis zu einem zehntausendstel Millimeter (= 1 um) dick werden kann. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar hat einen Durchmesser von rund 70 um. Wird bei fehlerhafter Grundkonstruktion zu viel Reibungsenergie in die Oberflächen eingebracht, nimmt das System Schaden, das Lager „frisst".
Andererseits findet bei zu „zahmem" Einfahren nicht genügend Energieeintrag und damit nicht genügend Tribomutation statt. Also: Die beim Einfahren durch Bildung einer äußerst verschleißfesten Oberflächenzone erzielte Veränderung des Metalls verbessert erheblich das Verschleißverhalten, und zwar in Größenordnungen von bis zu 20 Prozent. In etwa gleichem Maße sinkt auch der Ölverbrauch.
Dennoch ist Verschleiß leider nicht zu vermeiden. Wird also die Tribo-mutationsschicht irgendwann mal abgetragen, wird sie gleichzeitig, bei guter Belastung, weiter in das Material hineingetrieben. Die Schichtdicke bleibt also erhalten. Es besteht ein Gleichgewicht, der Verschleiß ist reduziert und die Verschleißgeschwindigkeit bleibt annähernd konstant. Die Störung dieses Gleichgewichts führt zur Zerstörung der Reibpaarung.
Da Lkw- und Busmotoren, anders als Pkw-Motoren, grundsätzlich schon im Werk vor dem Einbau auf Prüfständen eingefahren werden, können die Hersteller die Erfahrungen aus dieser Studie zu ihrem Vorteil nutzen und Tribomutatio-nen bereits bei der Herstellung durch besondere Kühl- und Schmierstoffe einleiten. Auf Basis der nun vorliegenden Forschungsergebnisse hat IAVF maßgeschneiderte Gesamtsysteme für die Motorenhersteller entwickelt. Dazu gehören auch Einfahrprogramme, die nicht nur effektive Tribomutationen erzeugen, sondern auch die Einlaufzeiten aus dem Stunden- in den Minutenbereich reduzieren - und dabei auch noch die Rundumqualitäten sowie die Lebensdauer der Motoren deutlich steigern.


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